04.09.2013

24 Stunden im Oberengadin

Vor zwei Jahren war ich online auf diese Landschaft gestoßen und hatte mich sofort verliebt. Ein weites alpines Hochtal mit mehreren großen Seen (gehören zu meinen bevorzugten Fotomotiven) auf 1800m Höhe, umgeben von 3000ern (einschließlich Berninagruppe) und abgelegenen Seitentälern voll wilder Natur, dazu ein sehr sonniges Gebirgsklima, wo aufgrund der Höhenlage Sommerhitze und Tauwetter im Winter kaum ein Thema sind. Der Hochschwarzwald ist zwar eine der schönsten Ecken Deutschlands, doch das Oberengadin erschien mir als schönste Ecke der ganzen Welt, und zwei Jahre lang sehnte ich mich danach, diese einmal real zu sehen. Nun hat sich endlich die Gelegenheit ergeben.

Eigentlich wollte ich zwei Nächte dort verbringen, doch ich hatte meine Kondition völlig über- und die Berge unterschätzt. Ich hätte gerne die ganze Rosatsch-Kette bis zum Piz Surlej (3188m) überschritten und dabei zum ersten Mal in meinem Leben eine Höhe von mehr als 3000m erreicht, doch der Piz Mezdi (2992m) allein verlangte meinem untrainierten Körper schon alles ab. So wollte sich beim Aufstieg die erhoffte Zufriedenheit überhaupt nicht einstellen, stattdessen geriet ich in eine Sinnkrise: der Anstieg mit dem schweren Gepäck war ein einziger Kampf, und in meinem Kopf wechselten sich die Gedanken "warum tue ich mir das an", "ich will heim" und "warum gebe ich das Fotografieren nicht einfach auf" ab. Letzteres stand natürlich nie ernsthaft zur Debatte, und so konnte ich trotz der Anstrengung das Fotografieren auch beim Aufstieg nicht lassen. Von St. Moritz aus ging es mit einem kurzen Abstecher zum Lej da l'Ova Cotschna (zum Auffüllen der Wasservorräte) auf den Gipfel des Piz Mezdi, den ich in der fortgeschrittenen Abenddämmerung erreichte.

Blick auf den Piz da l'Ova Cotschna

Blick über St. Moritz

Panorama St. Moritz

Blick auf Celerina und Samedan

Lej da l'Ova Cotschna

Panorama Lej da l'Ova Cotschna

Lej da l'Ova Cotschna

Lej da l'Ova Cotschna

Abendlicht über St. Moritz

Sonnenuntergang über dem Oberengadin

Beim Austieg zum Piz Mezdi, im Hintergrund Piz San Gian

Piz Kesch im Abendlicht

Auch die Nacht war nicht besonders angenehm. Ich hatte mit einer Temperatur von 6°C gerechnet (laut Stationsvorhersage der Diavolezza, deren Daten sich normalerweise auch auf den Piz Mezdi anwenden lassen sollten). Bei dieser Temperatur hält mich mein Schlafsack eigentlich problemlos warm, trotzdem fröstelte mich die ganze Nacht. Morgens stelle ich dann fest, dass der Tau auf meinem Rucksack stellenweise gefroren war, und erkannte meinen Denkfehler: Die Temperatur in Bodennähe liegt gerade in klaren, trockenen Nächten meist ein paar Grad unter den Werten in 2m Messhöhe ...

Mit dem erlösenden Silberstreif am östlichen Horizont waren dann aber die Strapazen des Aufstiegs und die Kälte der Nacht vergessen. Nach den Dämmerungsfotos auf dem Gipfel ...

Piz Mezdi, Blick zur Berninagruppe bei Nacht

Blick vom Piz Mezdi über St. Moritz bei Nacht

... war mein Ziel der Lej dal Rosatsch, ein Bergsee auf 2823m Höhe.

Blick vom Piz Mezdi über Lej dal Rosatsch und Val Roseg zur Berninagruppe

Dieser abgelegene See wird von Wanderern und Fotografen völlig vernachlässigt. Kein einziger Landschaftsfotograf - zumindest keiner mit Internetzugang - scheint sich bisher seiner angenommen zu haben, nicht einmal Knipsbilder von Wanderern gibt es. Dem wohl bisher einzigen Foto des Sees im Internet (das ich auf einer Anglerseite gesehen hatte) und Google Earth nach zu urteilen, versprach der See eine schöne Spiegelung der Berninagruppe, die ich mir als "Hauptmotiv" meiner Fototour vorgenommen hatte.

Nach einem kurzen Stück über den Grat Richtung Piz Rosatsch ...

Zwischen Piz Mezdi und Piz Rosatsch

... erreichte ich über einen Geröllhang kurz nach Sonnenaufgang den See, und seine Qualität als Fotomotiv übertraf meine kühnsten Erwartungen.

Lej dal Rosatsch, Blick zur Berninagruppe

Lej dal Rosatsch, Blick zum Piz Palü

Lej dal Rosatsch, Blick zur Berninagruppe

Über dem Val Roseg hinter dem Lej dal Rosatsch

Lej dal Rosatsch, Blick zur Berninagruppe

Der Anblick war überwältigend, und ich konnte kaum genug davon bekommen. Das Schönste daran: Ich hatte ihn ganz für mich alleine. Nicht nur in Bezug auf die völlige Stille und Einsamkeit - nein, ich war der bisher einzige Landschaftsfotograf im Internetzeitalter, der dieses Kleinod entdeckt hat. Während sich die Masse der Landschaftsfotografen um Riffel- und Stellisee schart und reihenweise Matterhornspiegelungen ablichtet, wie es sie schon tausendfach auf Fotos zu sehen gibt, kann man andernorts in den Alpen noch fotografisch unentdeckte Juwelen finden, die den bekannten "Blockbustermotiven" kaum nachstehen - der Lej dal Rosatsch ist eins davon.

Ich hätte es noch stundenlang dort aushalten können, wollte aber mein Gepäck, das noch auf dem Gipfel war, nicht zu lange allein lassen, und machte mich deshalb nach diesen Aufnahmen wieder auf den Weg. Ein Blick zurück ...

Lej dal Rosatsch von oben

... dann ging es wieder über den Grat ...

Blick auf den Piz Rosatsch vom Piz Mezdi aus

Zwischen Piz Mezdi und Piz Rosatsch

... zurück auf den Gipfel, um nun voll und ganz zufrieden den Rückweg nach St. Moritz anzutreten.

Blick vom Piz Mezdi über Samedan

Blick vom Piz Mezdi Richtung Silvaplana, Sils, Maloja

Blick vom Piz Mezdi Richtung Sils / Maloja

Beim Abstieg nahm ich auch den Piz da l'Ova Cotschna mit, einen besonders interessanten Aussichtspunkt: von dort kann man das ganze Tal von Maloja bis La Punt praktisch ohne Hindernisse überblicken. Dabei kam ich noch einmal am milchigen Gletschersee Lej da l'Ova Cotschna und seinen klaren "kleinen Brüdern" vorbei.

Kleiner See unter dem Piz da l'Ova Cotschna, im Hintergrund Piz San Gian

Kleiner See unter dem Piz da l'Ova Cotschna

Unter dem Piz da l'Ova Cotschna, Blick zum Lej da l'Ova Cotschna

Auf dem Piz da l'Ova Cotschna (2716m) wurde mir dann endgültig richtig bewusst, wo ich mich befand. Ich stand sicher eine halbe Stunde lang auf dem Berg, um die Aussicht zu genießen ...

Piz da l'Ova Cotschna, Blick Richtung Sils / Maloja

Piz da l'Ova Cotschna, Blick Richtung St. Moritz und Samedan

... und dann folgte der Abstieg, der sich als fast noch anstrengender erweisen sollte als der umgekehrte Weg. Wie beim Aufstieg der Gipfel ständig unerreichbar hoch schien, so lag jetzt St. Moritz die ganze Zeit viel zu tief unten im Tal und wollte einfach nicht näherkommen. Zwei Tage lang plagte mich ein übler Muskelkater, doch das war es wert. Beim nächsten Mal wird es dann schon viel besser gehen, und ich habe schon eine recht lange Liste von weiteren schönen, wenig fotografierten Zielen in der Gegend zusammengestellt ... :-)


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